Smart-TV: Ich seh, ich seh, was du nicht siehst ...

Stell dir‘ vor, ein Unbekannter möchte deinen Lebenswandel auskundschaften. Früher hätte dieser dafür wohl einen Privatdetektiv engagiert – heutzutage stellen sich viele Mitbürger freiwillig Überwachungssoftware in ihr Schlafzimmer. Dieser Artikel hilft, von der Illusion wegzukommen, dass die Hersteller solcher Produkte absolut idealistisch handeln.

Kameras sind vielerorts zu finden: im Smartphone, im Laptop, im Tablet, als klassische Spiegelreflex- oder Digitalkamera, als Überwachungskamera, beim Smart-TV, bald vielleicht auch im Kühlschrank oder im Ofen (ebenfalls als vermeintliche Hilfestellung, dass das Essen nicht verdirbt oder anbrennt). Seien wir ehrlich zueinander: wenn’s hochkommt, verwenden wir alle Kameras zusammen 14 Minuten täglich (1% des Tages) – den Rest der Zeit sind diese Geräte ausgeschaltet, sollte man meinen. Die Laien-Lösung (wenn man sich unsicher ist, ob und was die Kameras ohne Zustimmung aufzeichnen): die Linse überkleben. Sieht im ersten Moment am Laptop oder beim Smartphone seltsam aus – aber: der Selbsttest zeigt, man gewöhnt sich daran. Ich habe ein schwarzes Stück Papier genommen und mit Tixo auf die Kamera geklebt. Ja, und wenn ich die Kamera wieder brauche: Papierstreifen und Tixo wieder abziehen. Ein Randproblem stellt die Sprachsteuerung bzw. das im Laptop eingebaute Mikrofon dar. Prinzipiell stehe ich aufgezeichneten Gesprächen nicht so negativ gegenüber wie der Videoüberwachung, andererseits ist es auch schwieriger, Mikrofone mit komfortablem Zeitaufwand außer Gefecht zu setzen und dabei nicht dauerhaft zu zerstören (abkleben wird nicht ausreichend sein, Kabel durchtrennen oder komplett ausbauen ist wohl die einzige wirkungsvolle Methode).

Ich sehe das größte Problem in der Ungewissheit, ob man nun permanent überwacht wird oder nicht - das zermürbt relativ rasch. Was ich allerdings seit den Aufdeckungen durch Edward Snowden als gesichert ansehe, ist, dass alle größeren Hersteller bzw. Betreiber mit einem Firmensitz in den USA (also: Google, Facebook, Apple, Amazon, Skype, Twitter, Yahoo, Youtube, Ebay, Microsoft, IBM, Oracle, Cisco, Ford, Hewlett-Packard, AT&T, Verizon, United Technologoies, American Express,  …) ihre Daten freiwillig oder unfreiwillig mit der NSA teilen. Versuche/Ankündigungen von verschiedenen Großkonzernen (ua. Google), eigene Leitungen durch den Atlantik zu verlegen, sind wohl nicht mehr als ein Marketinggag bzw. dienen anderen Zielen (zB. Zwei-Klassen-Internet für Streaminganbieter wie Netflix zu etablieren). Wie c’t festgestellt hat, sind speziell die Smart-TVs bedenklich: „Wie die Hersteller gegenüber c't einräumten, sind nicht nur die von uns untersuchen Modelle anfällig, sondern diverse aktuelle Smart-TVs der Marken.“[1] Den meisten Käufern von Smart-TV-Geräten ist zudem nicht bekannt, dass die Übermittlung personenbezogener Informationen (Standort, Uhrzeit, gesehene Kanäle/Nutzerverhalten, Reaktion auf Werbeeinblendungen, Geräuschkulisse im Haushalt, Altersstruktur der Bewohner und vieles mehr) auch ohne explizite Zustimmung des Nutzers stattfindet – offizieller Jargon: „Verbesserung des Angebots“ oder ähnliche Phrasen.

Wie ich in meinem nächsten Artikel zur RFID-Technologie (kontaktloses Ausspähen von Informationen) ausführlicher darlegen werde, dienen vermeintliche Überwachungskameras schon lange nicht mehr bloß dazu, Diebstähle bzw. Überfälle aufzuzeichnen. Ich war zuletzt in meiner Bankfiliale und musste einige Minuten warten, dabei habe ich aus Langeweile angefangen, alle sichtbaren Kameras zu zählen. Neun Stück, allesamt im Eingangsbereich. In Supermärkten oder am Bahnhof sieht es ähnlich aus – die Anwendungsbereiche solcher Kameras sind (sofern sie nicht mit Gesichtserkennungssoftware oder RFID-Lesegeräten gekoppelt sind) wohl die Erhebung von Parametern wie Kundenzufriedenheit (Wartedauer in der Warteschlange, Mimik, Gestik, Verweildauer vor Sonderangeboten), Beschilderung (wie gut kann sich der Kunde selbst orientieren – oder brauchen wir mehr Service-Personal vor Ort bzw. weitere Schilder), Besucherflusssteuerung (sind die Gänge breit genug, fahren die Lifte schnell genug, gibt es Hindernisse – Reinigungspersonal informieren). Manchen Anbietern/Lebensbereichen kann man leider nicht mehr ausweichen (Tankstelle, Flughafen, Bank), sie haben ihre Videoüberwachung bereits flächendeckend im Einsatz. Ich versuche jedoch, Supermärkte bzw. Dienstleister zu bevorzugen, die sich mehr an moralische Standards halten und mich nicht auf Schritt und Tritt überwachen wollen – aus einem einfachen Grund: wenn man die „weißen Schafe“ nicht unterstützt, werden sich rasch die „schwarzen Schafe“ durchsetzen, und es wird zur Gewohnheit, sich im Alltag permanent überwachen zu lassen.

Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen: auf die NSA trifft nur ein Drittel der drei Nikko-Affen zu. Dank der Sprachsteuerung und eingebauten Mikrofone kann die NSA auch mitlauschen, wenn das Gerät an sich abgeschaltet ist (die Sprachsteuerung ist immer aktiv – mit der Begründung: wie könnte die Software sonst den ausgesprochenen Befehl „einschalten“ wahrnehmen?). Ich stell‘ mir dazu bildhaft das andere Ende der Leitung vor: da kommt Kino-Feeling auf, die Führungsriege der NSA gönnt sich wieder mal den Livestream aus deinem Schlafzimmer (oder wo auch immer du deine Kameras und Mikrofone platzierst). Zum „nichts sagen“: die NSA ist bei allen drei Teilen sehr hartnäckig, teilweise weiß nicht einmal Mr. President oder der Senat, was die NSA eigentlich genau treibt – dank der Enthüllungen von Edward Snowden haben wir eine ungefähre Ahnung, wie allumfassend die Spähprogramme der Agentur für NATIONALE Sicherheit sind. Wegen der INTERnationalen Sicherheit werden die USA wohl kaum Kameras in dein Schlafzimmer bringen wollen – da sollen sich die bösen Islamisten gefälligst eigene Software zusammenbasteln. Ach, und noch etwas: nicht nur die Amis haben Zugriff auf sämtliche Informationen über dein Privatleben, im Five-Eyes-Verbund (USA, Großbritannien, Australien, Neuseeland und Kanada) können die Daten frei zirkulieren, ähnlich wird es wohl im Nine-Eyes-Club (die vorher genannten Staaten plus Dänemark, Frankreich, Niederlande und Norwegen) zugehen.

Wie Götz Schartner treffend meinte: an den Geräten selbst ist gar nichts „smart“ (intelligent) – clever sind bloß die Marketingspezialisten und Verkäufer, die den Kunden einreden, sich unbedingt diese Selbst-Überwachungs-Geräte ins Haus zu holen (und noch dazu enorme Summen dafür auszugeben!). Mir geht es nicht darum, einen Boykottaufruf gegen Kameras oder deren totale Verbannung aus den Geschäften zu erreichen – ich möchte mit diesem Beitrag bloß dahingehend sensibilisieren, was (womöglich) alles mit den über Kameras eingeholten Informationen geschieht. Ich bin mittlerweile zur Auffassung gelangt, dass Konzerne wie Facebook, Google, Apple und Microsoft hemmungslos Daten über ihre Kunden sammeln – mit ein wenig Glück stellen sie uns einen Bruchteil davon zur Verfügung bzw. lassen uns an ihrem Glanze teilhaben (Beispiel: der Apple-Musik-Streamingdienst will uns nicht bloß mit Musikgenuss versorgen – er will vor allem unsere Kreditkarteninformationen mit unserem Musikgeschmack und dem individuellen Nutzungsverhalten verknüpfen). In diesem Sinne: Hühnerauge, sei wachsam!

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fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:12

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